Kultur schafft Wirtschaft – Ein Gespräch zwischen den Welten (Druckversion)
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Kultur schafft Wirtschaft – Ein Gespräch zwischen den Welten
Die gesamte
Höherentwicklung der
Menschheit fußt auf der
menschlichen Phantasie.
Selten kommen so verschiedene Kompetenzen zu einem Gespräch zusammen. Aber jeder Seite ist klar: Kultur und Wirtschaft könnten sich gegenseitig beflügeln, wenn sie viel besser aufeinander achten würden!

Kunst und Materie

Etrillard:

Wenn ich an den Zusammenhang von Kultur und wirtschaftlichen Erfolg denke, fällt mir spontan zuerst Andy Warhol ein. Warhols Kunst ist wohl nicht zuletzt durch sehr geschickte PR weltweit so berühmt geworden – schließlich kam Warhol ja selbst aus der Werbebranche.

Metzler:

Im Grunde genommen ist die gesamte hohe Kunst wirtschaftlich erfolgreich. Egal was es ist: Ist es von künstlerischer Bedeutung, ist es auch Geld Wert und damit immer gleich ein wirtschaftlicher Faktor. Das Prinzip ist bekannt: je älter, desto teurer. Und bei erfolgreicher, zeitgenössischer Kunst steckt (und steckte) immer gute Promotion dahinter.

von Ernst:

Das kommt mir aber zu einfach vor. Nach diesem Prinzip wäre der berühmte hungernde Künstler, dessen Werk erst nach seinem Tod Anerkennung findet, zwar erklärt, nämlich nach dem Motto: „Wahre“ Kunst setzt sich immer durch – tragisch, wenn sie zu spät erkannt wird und ganz anderen Leuten Geld bringt als dem Künstler. Ich kann mir aber genauso gut Kunst vorstellen, die von hohem ideellen, künstlerischen, sogar wirtschaftlichen Wert ist – bei der dieser Wert aber nie erkannt wird. Nicht beim lebenden Künstler. Und nicht später. Da fehlt dann für immer der Schritt vom vorhandenen immateriellen Wert zur Wirtschaftlichkeit. Und dann verliert nicht nur der Künstler persönlich. Allerdings merkt er es als einziger.

Metzler:

Natürlich spricht man von einem immateriellen Wert von Kunst – in der so genannten Realität steht dieser Wert aber doch nie alleine. Jeder Künstler träumt von Ruhm und vom Erkanntwerden seiner besonderen schöpferischen Leistung. Das hat zwar einerseits nichts mit „Wirklichkeit“ zu tun, ist aber trotzdem zusätzlich immer auch materiell grundiert: Der Künstler träumt mit dem Traum von künstlerischer Anerkennung auch den Traum von materieller Absicherung.

Etrillard:

Den gleichen Zusammenhang kann man auch auf der Käuferseite beobachten. Wenn Unternehmen beginnen, in Kunst zu investieren, Sammlungen anzulegen, dann ist das auch ein Ausleben von Kultursehnsucht. Gleichzeitig sind Bilder natürlich Wertanlagen – aber nicht, wenn junge Kunst gekauft wird, was auch sehr häufig vorkommt. Hier wird dann ganz idealistisch investiert. Aber trotzdem schließt sich der Kreis auch da wieder: Kauft zum Beispiel eine große Bank das Gemälde eines jungen Künstlers, verschafft diesem das ein gewisses Ansehen und der Wert seiner Werke steigt. Das Prinzip „Börse“ eben.

Metzler:

Jedes Kunstwerk hat also etwas mit Wert- bzw. Einschätzung zu tun. Da steckt ja schon das Wort „Schatz“, also geistige und materielle Energie, drin. Sicher kaufen manche Kunst aus „idealen“ Gründen – aber auch dies hat mit Kult, mit Status, mit Traditionen zu tun. Einen echten Dalí zu besitzen ist eine Statusaussage. Da gibt es keinen Unterschied zu anderen Bereichen in unserer Gesamtkultur. Management ist zum Beispiel auch ein Teil davon. Hier gehört es zum Kult innerhalb der Kultur, einen Mercedes zu fahren, Anzug zu tragen, einen neuen, interessant designten Computer zu nutzen. All das sind künstliche Werte, die als Symbole wertvoller sind, als rein materiell.

Etrillard:

Es ist natürlich eine Binsenweisheit, daß die Firmen das wissen und ernst nehmen. Daimler-Benz hat damals zum Beispiel viele Millionen investiert, um den Imageschaden rund um den sogenannten Elchtest zu reparieren. Der Imagefaktor „Sicherheit“ war plötzlich angeschlagen.

Metzler:

Wie sehr Image, Kult und Kultur zusammenhängen, zeigt auch so ein Phänomen wie der Literaturnobelpreis. Die russischen Literaturnobelpreisträger haben ihn immer auch aus politischen Gründen erhalten. Iwan Bunin 1933 als Emigrant, ein Statement gegen den Bolschewismus, Boris Pasternak sollte ihn für seinen verbotenen „Doktor Schiwago“ bekommen, hat aber abgelehnt, Alexander Solschenizyn bekam ihn 1970 für die Aufdeckung des Gulagsystems und als Dissident. Man kann nicht sagen, dass jemals künstlerische Gründe im Vordergrund standen. Und selbst wenn, dann ganz bestimmt nicht alleine.

von Ernst:

Das ist sowieso eine Spezialität des Literaturnobelpreises: Man muss schon einer Minderheit oder Opfergruppe angehören oder darüber schreiben oder im Kampf gegen etwas stehen.

Metzler:

Als Kult ist der Nobelpreis aber eine Richtlinie, genau wie für den Film der Oscar. Die auf DVDs verkündete Anzahl der gewonnenen Oscars ist ohne Zweifel ein Kauf- oder Leihanreiz. So werden Preise zu kulturschaffenden Faktoren.

von Ernst:

Aber nicht immer langfristig. Wer kennt wohl noch Literaturnobelpreisträger wie Reymont oder Saint-John Perse?

Metzler:

Bunin und Solschenizyn sind jedenfalls immer noch aktuell, mindestens als Symbole ihrer Zeit. Jedoch so ein Preis allein reicht offenbar nicht aus. Thomas Mann zum Beispiel war ziemlich PR-geil, kaum literarische Veranstaltungen, keine Zeitschrift, kein Thema wurden von ihm ausgelassen – so wurde er endgültig zum „Kult-Autor“ in jedermanns Gedächtnis.

Etrillard:

Das Gleiche gilt für Günter Grass, der sich neben seinen Werken noch zusätzlich ganz stark als öffentliche Person positioniert, als Meinungsmacht.

von Ernst:

Na, gut, das sind alles Erfolgsgeschichten, die auch in der Kultur das „survival of the fittest“ beweisen könnten. Ich will das aber nicht so akzeptieren: Es gibt das Ideal des Guten, Wahren und Schönen. Vielleicht ist es nie verwirklicht worden – aber das ist für mich noch kein Grund zu akzeptieren, dass der größte Angeber immer gewinnt.

Inspiration und Grenzen

Etrillard:

Natürlich lässt sich kultureller Wert nicht am Geldwert zu messen. Gute Kunst ist aber ohne PR nicht wahrnehmbar. Das bleibt unabänderlich.

Metzler:

Nie gesehen hat keine Chance. Und zwar im direkten Sinne des Wortes Nie.

Etrillard:

Das ist natürlich wirklich tragisch für viele Künstler.

Metzler:

Die Chance der Kunst liegt aber darin, dass es auch umgekehrt eine Abhängigkeit gibt: Es gibt keine Kultur ohne hochwertige Kunst, genauso keine hohe Wirtschaft ohne hohe Kunst. Eine Gesellschaft die wirtschaftlich prosperiert, hat immer auch eine prosperierende Kulturszene. So kompliziert zu beantworten wie die Frage nach dem Ei und dem Huhn, ist aber wahrscheinlich die Frage, was zuerst anfangen muss zu wachsen.

von Ernst:

Nein, ich denke, die Frage ist gar nicht so schwer zu beantworten. Die gesamte Höherentwicklung der Menschheit fußt auf der menschlichen Phantasie. Ohne die würden wir immer noch ausreichend materielle Befriedigung beim Jagen und Sammeln, beim Rauben und Tauschen finden. Eine andere Frage ist viel schwieriger zu beantworten: Warum ist Phantasie auch heute noch eher etwas Beängstigendes, etwas, das eher verdächtig ist, zum Außenseiter stempelt, bis sich ein materiell messbarer Erfolg einstellt? Warum ist es der Menschheit nie gelungen, die Phantasie voll in ihr Gesellschaftskonzept zu integrieren?

Etrillard:

Nun ja, ohne Zweifel gehört es doch zum Künstlerdasein dazu, sich zu zeigen, Kontakt zu suchen. Dieses Bedürfnis kommt wahrscheinlich direkt nach dem Bedürfnis, etwas zu erschaffen. In den 50er Jahren ist das Fernsehen als Möglichkeit der Präsentation dazu gekommen, früher und heute gab und gibt es Salons, Netzwerke, Messen. Zu allen Zeiten mussten Künstler Mäzene haben. Und scheinbar haben die Herausragenden immer welche gefunden. Insofern hat sich die Phantasie also immer irgendwie integrieren können.

Metzler:

Zeitgenössische Kunst prescht stilistisch und inhaltlich oft stark ihrer Zeit voraus, deshalb möchte ich dann auch lieber von Inspiration statt von Phantasie sprechen. Solche Inspirationen begeben sich in vielen Fällen in geistige Sphären, die erst der folgenden Generation verständlicher werden. Dadurch erscheinen sie den Zeitgenossen oft zuerst als schädigend, aufrührerisch. Was an einem Chagall einmal pornographisch gewesen sein soll, können wir zum Beispiel inzwischen nicht mehr verstehen. Als seine Zeitgenossen hätten wir möglicherweise auch etwas in uns überwinden müssen.

von Ernst:

Genau das meine ich ja. Es gibt eine Grenze, gegen die diese Art Inspiration immer erst anrennen muss, um akzeptiert zu werden. Eltern freuen sich nicht etwa, wenn ihr Sprössling künstlerisches Talent zeigt – sie ärgern sich, sie bekommen Angst. Kunst wird nicht als Arbeit angesehen, obwohl sich Künstler teilweise kaputt arbeiten und sozusagen immer im Dienst sind. Hier wird ständig Potenzial unterdrückt, behindert, bekämpft. Warum eigentlich? Und, um auf unser Thema zurückzukommen, wie weit ist diese Begrenzung in der Wirtschaft vorhanden, wie und wie weit wirkt sie sich dort schädlich aus?

Etrillard:

Ich kenne vor allem eine große Offenheit in der Wirtschaft gegenüber Kunst und Kreativität. Als beispielsweise der Elf-Konzern eine neue Zentrale errichtete, beauftragte man einen Künstler, Werke zu schaffen, die dann schließlich ganz besonders die Atmosphäre in diesem neuen Gebäude ausmachten. Es waren Kunstwerke aus Kunststoff-Granulaten, die typischer Ausschuss bei der Produktion waren. Sehr interessant.

von Ernst:

Ich fürchte, hier wurde Kunst zu bloßer Dekoration herabgewürdigt. Oder aber nur Dekoration geschaffen. Anwaltskanzleien und bessere Arztpraxen sind oft ebenfalls mit unauffällig avantgardistischen Schmierereien ausgestattet. Ich sehe da eigentlich keine besonders fruchtbare Verbindung zweier Bereiche.

Metzler:

Es gibt aber durchaus fruchtbare Schnittstellen zwischen Kunst und Wirtschaft. Besonders da, wo Kreativität Grundvoraussetzung für Erfolg ist. In der Mode, in allen Design-Bereichen. Dort werden Impulse aus der eigenen und aus fremden Kulturen sehr gerne und viel aufgenommen. In der Architektur bedeutete der Schritt vom Beton zum Glas, also ein bedeutender Wandel des Materials, die Änderung unserer Visualität. Und dieser große Schritt bereitete sich natürlich in anderen kulturellen Bereichen vor. Inspiration wird immer transparenter, und das Wechselspiel der Inspirationen ist Kennzeichen unserer sich ins immer Vielfältigere wandelnden Kultur.

von Ernst:

Der Mechanismus solcher Wandlungen könnte auch ganz einfach auf Zufall beruhen. Vor allem auf Image-Mitläuferei: Konzern X baut einen überdimensionalen Glaskasten (und lässt einem Stararchitekten freien Lauf – wegen dessen Namen, nicht wegen des Glases), dann will Konzern Y auch einen haben. Kulturelles Bewusstsein hat das Entscheidungsgremium einer Firma, die bauen will, als allerletztes.

Metzler:

Nehmen wir das Projekt Ground Zero. Beim Wettbewerb um die Wiederbebauung stand die Interpretation des Ortes ganz im Vordergrund. Nicht die Nutzungsmöglichkeiten.

von Ernst:

Das ist eine öffentliche Angelegenheit, eine öffentliche Ausschreibung. Und ich denke sogar, dass auch hier die Nutzenfrage nicht sehr weit im Hintergrund stand.

Metzler:

Öffentlich ist durchaus auch wirtschaftlich, gerade öffentliche Investitionen sind ja ein bedeutender Wirtschaftsfaktor. – Aber gut, man kann auch anhand der Geschichte von Produkten kulturelle Entwicklungen und Einflüsse ausmachen. Im Laufe von hundert Jahren sind wir von Massivität und Masse, sprich Eichenvitrinen und Nippes, zu einer starken Verringerung an Einrichtung gelangt. Design und Funktionalität stehen im Vordergrund. Das Design vertritt den Kult unserer Zeit. Es gibt einen PC im Porsche-Design usw. Das hat wahrscheinlich mit der Entwicklung hin zu größerer Individualität, großzügigerer Privatsphäre zu tun.

von Ernst:

Von dieser Entwicklung sehe ich nichts. Schon gar nicht in der Warenwelt. Ich sehe nur Massenproduktion, vollständige Entindividualisierung aus ökonomischen Gründen. Weil Arbeitskraft zu teuer ist, ist ein individueller Maßanzug von guter Qualität zu teuer. Statt dessen soll ich Konfektion kaufen, möglicherweise noch für den Kleiderfabrikanten Werbung laufen, indem überall dessen Logo prangt. Letzteres wird dem Kunden der Massenware dadurch schmackhaft gemacht, dass der Schriftzug auf seinem Schlips Ausweis von Geschmack und Geld sein soll. In Wirklichkeit trägt der Kunde ökonomisch erzwungen Kleider von der Stange in Mustergrößen, was vor 80 Jahren noch zweitklassig war, und wird gleichzeitig als Werbeträger instrumentalisiert. Das ist eigentlich Verarschung.

Etrillard:

Das beruht aber auf ökonomischen Entwicklungen, die wiederum bedingt sind von gesellschaftlichen Fortschritten, Demokratisierung, soziale Marktwirtschaft etc. Die Wirtschaft reagiert ja oft nur auf neue Bedürfnisse. Auch innerhalb von Unternehmen werden aber gesellschaftliche oder kulturelle Entwicklungen aufgenommen. Meiner Beobachtung nach versucht die Wirtschaft immer up to date zu sein, um weder innerlich noch äußerlich zu veralten. Oft spielt sie dabei sogar eine Vorreiterrolle. So planen Unternehmen Kurswechsel, Philosophiewechsel, durch Architektur, durch neue Arbeitsmethoden, durch Schulung des Managements nach neuesten Erkenntnissen aus den Geisteswissenschaften etc. Hierauf liegt ein großes Augenmerk.

Metzler:

Innerhalb der Wirtschaft spricht man von Unternehmenskultur- und philosophie.

von Ernst:

Sind das alles nicht nur Schlagworte? Inszenierungen zur Imageaufbesserung?

Etrillard:

Nein, das wird wirklich gelebt, bis in die untersten Abteilungen. Es wird sehr intensiv darauf geachtet, dass sozusagen alles durchdrungen wird von der Philosophie, nach der sich das Unternehmen richten möchte. Sicher gibt es da unterschiedliche Erfolge, auch unterschiedliche Grade an Ernsthaftigkeit. Aber da es immer auch ganz schlicht um Effektivität geht, wird das Thema meist sehr ernst genommen.

Metzler:

Es geht oft um Problemlösungen. Da bedingt bereits der Anlass Ernsthaftigkeit. Ich denke zum Beispiel an Management-Kunstseminare: Wenn es in einem Unternehmen Teamprobleme gibt, malen die Teammitglieder unter dem Motto „Welche Probleme, Defizite haben wir?“ gemeinsam ein Bild, jeder ein Symbol unter Mitteilung der Bedeutung. Das Bild ist dann zwar für Fremde vollkommen abstrakt, aber nicht für die Beteiligten, für die erfüllt es einen Sinn. Wie Künstler veranschaulichten sie ein Problem und entwickelten eine alternative Perspektive dazu.

Etrillard:

Da fällt mir auch die Methode „Unternehmenstheater“ ein: Professionelle Schauspieler spielen die aktuelle Krise im Unternehmen vor. Aber auch so etwas wie Ruhezonen in Firmen, die Einrichtung von Meditationsräumen etc. sind Übernahmen aus kulturellen Bereichen.

von Ernst:

Das sind doch alles nur ein paar Rosinen und Spielereien, die da übernommen wurden. Wieder wird Kunst zu irgendwas „Nützlichem“ gemacht, eine Profanierung, die einem kulturellen Bewusstsein eher schadet als nützt. Nein: In Wirklichkeit herrscht Krieg zwischen Kultur und Wirtschaft, im Moment zum besonderen Nachteil der Kultur. Die Wirtschaft sponsert nur egoistisch, nur wenn Image poliert werden kann oder Kunden gefangen werden können. Herr Würth oder all die Stadtsparkassen, die wenigstens regional sehr aktiv sind, sind Ausnahmen. Eine Tradition von Mäzenatentum wie in den USA gibt es in Deutschland nicht. Gleiches gilt für den Bereich der Bildung: Die Wirtschaft bekämpft die Freiheit der Wissenschaft, will nur Formeln und Erfindungen haben und finanzieren. Der Wert von Geisteswissenschaften ist in Wirtschaftskreisen gänzlich unbekannt. Gefördert wird nur, was kurzfristig Nutzen verspricht. Gleichzeitig wird nach Elite krakeelt – aber der Grundirrtum, dass Kreativität nicht nach den Gesetzen des Marktes entsteht und wächst, bleibt selbstverständlich. In der Wirtschaft herrscht der Geist von Spießereltern, die ihrem naturbegeisterten Sohn nicht erlauben, Biologe zu werden, weil in der Zeitung stand, dass ein Informatikstudium einen sicheren Arbeitsplatz bis zur Rente garantiert.

Bildung und Freiheit

Metzler:

Aber war denn Wissenschaft jemals unabhängig von den wirtschaftlichen Erfordernissen in einer Gesellschaft?

von Ernst:

Nie unbegrenzt natürlich, aber weitgehend. Ich bin sogar der Meinung, dass die beherrschende Stellung, die die deutsche Wissenschaft, Kultur und im Anschluss daran schließlich auch die Wirtschaft im 19. Jahrhundert erreichte, auf der Durchsetzung von Humboldts Ideal der freien Wissenschaft beruht.

Etrillard:

„Freiheit von Forschung und Lehre“.

von Ernst:

Richtig. Es gab das Ideal des deutschen Gelehrten und Forschers, der völlig unabhängig von irgendwelchen Ziel- oder Nutzvorgaben forschte und lehrte. Und dabei war es gleich angesehen, ob er sich mit Versmaßen im Arabischen oder mit chemischen Substanzen beschäftigte. Es war das geistige Gesamtklima, das die Wissenschaft in allen Bereichen zum Blühen brachte. Daraus ergab sich dann erst immenser Nutzen. Nutzen, der durch Effizienzdruck gefährdet wird.

Metzler:

Das muss aber lange her sein. Heute sieht man bereits an den Unibauten und den Räumlichkeiten, welches Gesamtklima dort herrscht. Es findet offensichtlich eine Programmierung durch Fabrikbauten, durch Beton, durch ungepflegte Funktionalität statt.

Etrillard:

In dem Zusammenhang ist es ganz interessant zu sehen, wie Hotels sich Gedanken über Lernorte machen und wie enorm in diesen Bereich investiert wird. Das fängt an bei Art und Anordnung der Einrichtung, den Farben bis zu Düften, um beispielsweise mit ihnen die Teilnehmer eines Seminars nach dem Mittagessen zu aktivieren.

Metzler:

Abgesehen von der niederdrückenden Umgebung in den meisten deutschen Universitäten, gibt es auch nicht wirklich Meinungs- oder Forschungsfreiheit. Die wirtschaftliche Abhängigkeit der Professoren beeinflusst maßgeblich ihre Meinung, den Inhalt von Forschungsarbeiten usw. Keiner, der innerhalb der Universität Karriere machen will, bezweifelt die Auffassungen eines anderen Kollegen – lieber zitiert man ihn. Eine freie Meinung dürfte von Existenzangst eingeschränkt sein. Verbiegung ist an der Tagesordnung.

von Ernst:

Ich denke, solche Verhältnisse sind leider menschlich und existierten zu allen Zeiten, egal wie frei oder unfrei die Universitäten waren. Aber wenigstens waren die Unis bisher nach außen frei. Jetzt aber wächst der Druck – und angesichts gewisser Entwicklungen ist ein Nachgeben der Unis festzustellen – zu bloßen Berufsausbildungsstätten zu werden. Das war nie Sinn einer Universität. Alles, was man in der Ökonomie „Kompetenzen“ nennen würde, geht dadurch verloren. Auswendiglerner triumphieren über kluge Köpfe. Einzige Hoffnung ist: Zum Glück gelingt es klugen Köpfen trotzdem immer, durchzukommen, unabhängig vom Bildungswesen.

Metzler:

Oh je, ich glaube, gerade diese Hoffnung wird auch gerade sehr eingeschränkt. Studiengebühren, Darlehensbürokratie – es verlangt immer mehr Mut und finanzielle Risikobereitschaft zu studieren. Alles wird wirtschaftlichen Kriterien untergeordnet. Man fragt sich, wie es Studenten gelingen soll, bei zum Teil belastenden Jobs, bei Nachtarbeit (ich kenne viele solcher Beispiele), zu lesen, zu recherchieren, ihr Studium in 10 Semestern zu schaffen. Welche Qualität kommt dabei heraus? Hinzu kommen Unsinnssysteme, wie die Richtlinien zur Stipendienvergabe oder der Numerus clausus. Hier zählt die Durchschnittsnote, Schicksale werden nach dem Dezimalsystem entschieden. Der Zufall entscheidet, ob ein „Auswendiglerner“ oder ein „kluger Kopf“ durchkommt.

von Ernst:

Das sind alles schon Folgen von schädlichem Effizienzdenken jenseits jeder Effektivität. Stéphane Etrillard hat in einem seiner Bücher sehr schön dargestellt, wo der Unterschied liegt. – Aber wie kann man denn nun die Wirtschaft davon überzeugen, dass sie auch von der Erforschung arabischer Versmaße letztlich Nutzen hat und dass sie sich für freie Bildung einsetzen sollte, frei von ökonomischen und geistigen Zwängen?

Etrillard:

Solange Uniabgänger nicht genug taugen und man lieber eigene Ausbildung in der Wirtschaft finanziert, wird das schwer. Ich habe auch das Gefühl, dass die Universitäten der Dynamik des Internets hinterher hinken.

Metzler:

Das Uni-Wissen wird nicht aktualisiert, weil nur Titel dazu berechtigen, sich zu äußern. Konsequent wird ausgeschlossen, was außerhalb der Uni gedacht und geforscht wird, konsequent wird ein Stufensystem betoniert, demzufolge junge Akademiker erst voll zu Wort kommen – wenn sie alt geworden sind.

Etrillard:

Der größte Saurierkenner Deutschlands heißt Ernst Probst. Aber er trägt keinen Titel, ist nicht an einer Universität. Altertümlich würde man sagen, Ernst Probst ist „Privatgelehrter“. Aber trotz des profunden Wissens dieses Mannes, der aus eigener Kraft und institutionelle Unterstützung zu einer Koryphäe auf seinem Gebiet geworden ist, tun sich natürlich die verbeamteten Kollegen schwer mit ihm. Lange wurde er als Dilettant gemieden. Nur langsam kommt es zu immer breiterer Anerkennung. Das genaue Gegenbeispiel sind, freilich neben vielen hervorragenden Leuten, völlig inkompetente Professoren, die sich im Unisystem halten können und bei denen Studenten gezwungen sind, ihre Diplome zu machen. In der Wirtschaft werden inkompetente Leute früher oder später erkannt und über eine Lösung nachgedacht, weil sie im besten Fall nichts nützen und im schlechteren Fall sogar schaden.

Metzler:

Könnte man jetzt zusammenfassen, dass Kultur und Bildung von der Wirtschaft und umgekehrt die Wirtschaft von der Kultur lernen können – nur nicht ausgerechnet das Falsche?

von Ernst:

Ja, die Wirtschaft soll begreifen, was sie verlieren kann, wenn sie die Universitäten und Künste unter zu starken Effizienzdruck setzt.

Etrillard:

Und Kultur und Bildung könnte sich Mechanismen der Wirtschaft zunutze machen, um Qualität zu sichern. Und ihre Freiheit.


Quelle:
Platinum-News
Albert Metzler
http://www.platinum-news.de



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